Ungehindert

Gute Arbeit leisten dürfen – eine Utopie?

Interessanterweise beklagen sich all die Fachpersonen an der Basis heute kaum noch über Arbeitszeiten oder Lohn. Sie beklagen sich darüber, dass ihre Organisation sie dabei behindert, gute Arbeit zu leisten.

Das ist eine grundlegende Veränderung: Wenn ein Spital, eine Schule, eine Verwaltungseinheit den Mitarbeitenden Gelegenheit bietet, gute Arbeit zu leisten, schätzen diese das mehr als Lohnerhöhungen. Wirkliche Sorgen um die Qualität macht man sich nicht in der Führung, sondern «unten». «Oben» finden unterdessen Kennzahlen- Qualitätsmanagement- und Zertifizierungs-Diskussionen statt.

Gehindert sehen sich die Fachpersonen an der Basis insbesondere durch ausufernde «Administration». Wen auch immer man darauf anspricht: Die Meisten können ein Lied davon singen: elektronische Zeiterfassung, elektronisches Patientendossier, Jahresberichte, Jahresziele, Budgetierung, Evaluationsformulare, Formulare für alles und jedes, Akkreditierungen, sogenannte Qualitätsentwicklungsmassnahmen, Projektbeschreibungen und -berichte, usw. In jeder Branche ist es ein bisschen etwas anderes – und doch überall dasselbe: Viel Zeit geht in die Produktion von Papier und Papieren, wenn auch oft elektronischen. Manche, die eigentlich für konkrete Einsätze angestellt sind, sagen dass ein Drittel oder mehr ihrer Zeit dafür verloren geht – Tendenz steigend. Die mit diesen Papieren produzierten Daten müssen ja dann noch von anderen ausgewertet, kontrolliert, weiterverarbeitet werden – was auch dort wieder Ressourcen frisst. Dass zugleich von Sparen geredet wird, wirkt etwas komisch, gelinde gesagt.

Ein Biotop. Kein Netzwerk.

In solchen Organisationen verdursten diejenigen, die gute Arbeit leisten wollen. Widerstand leisten ist angesagt – aber dieser zehrt zusätzlich. Wir Fachpersonen, die wir uns um das Kerngeschäft kümmern, brauchen etwas, das nährt. Das ist das Biotop: Austausch und Problemlösungen in Intervisionsgruppen, weit über die Grenzen der Organisationen hinaus, in denen wir arbeiten. Gemeinsames Mittagessen, bei dem man sich quer über Berufsgruppen hinweg austauscht und neue Ideen entstehen können. Fachtagungen, an denen sich Menschen aus verschiedenen Organisationen treffen, die in den Pausen gemeinsame Schwierigkeiten entdecken und informelle Kooperationen starten. All das erleben wir als Oasen in der Wüste arbeitsbehindernder Organisationen.

Was nun ansteht ist, diese Oasen miteinander zu verbinden. Denn diese kleinen Einheiten können stärker sein, wenn sie von anderen kleinen Einheiten wissen. Wenn es grosse Treffen gibt. Wenn man Menschen mit Lösungen kennenlernen kann. Wenn sich kleine Einheiten bei Bedarf laufend neu konstellieren können. Wenn es unübersichtlich wird vor lauter inspirierenden Kontaktmöglichkeiten. Wenn wir nicht nur an Firmenessen gehen, sondern an Feste von Mitengagierten quer durch die Organisationen. Wenn das Biotop als «Querganisation» wächst.

Also: Den inneren Fokus immer mal wieder von der eigenen Organisation wegnehmen. Widerstand gegen Überadministration und Fehlkontrolle ja, aber mit Mass. Von unseren Organisationen brauchen wir weder viel Administration noch Kontrolle, sondern einen groben Raster, der die Zuständigkeiten, Aufgaben und Kompetenzen klärt, und einige wenige Abläufe. Mehr nicht. Um die Qualität der Arbeit kümmern wir uns, als diejenigen, die davon etwas verstehen, schon selbst. Bis wir das allerdings unseren Organisationen erklärt haben, wird es noch eine Weile dauern. Inzwischen tun wir, was uns und unserer Arbeit gut tut: Wir bauen aus den Oasen ein Biotop.

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PS: Vorschläge dazu, wie man am Biotop bauen kann: «Was tun»

Ein Gedanke zu „Ungehindert

  1. Leider wird heute an den Hochschulen Wirtschaft inhaltlich als reine Geldmaschine definiert. Rendite – sprich: möglichst hoher Gewinn, steht an erster Stelle. Wie er zustande kommt, was dafür produziert wird und welche Folgen daraus resultieren, ist im besten Fall zweitrangig. Eine Geschäftsidee ist ausschliesslich eine Idee für ein (renditeträchtiges) Geschäft. Inhalt ist völlig nebensächlich. So verwundert es nicht, wenn als Ausstoss an Bildung Experten produziert werden, die einzig noch in Zahlen denken (können), jedoch von den vom Wissen um die wirklichen Bedürfnisse der Geselllschaft meilenweit entfernt sind. Denn Bedürfnisse zu kreieren und zu diesen ein entsprechendes Produkt zu lancieren, so haben sie gelernt, ist die Königsdisziplin des Marketing. Angebot diktiert die Nachfrage.
    Da unter den Zeichen des uferlosen Wettbewerbs die Nachfrage nach Optimierungen der Produktion (von Gewinn) beinahe inflationär wächst, kann die Zunahme von frisch ausgebildeten Technokraten daher kaum verwundern. Zumal das Bedürfnis danach durch die Autorität, die Hochschulen geniessen, bereits kräftig angeheizt wurde. Die Rationalisierung der Rationalisierung ist längst keine Utopie mehr.
    Bis zu welchem Punkt sich dies noch steigern lässt, kann man höchstens vermuten. Doch welche Folgen es zeitigt, ist schon heute deutlich erkennbar.
    Es ist die Produktion von Leerläufen, die zwar zunächst finanziellen Gewinn generiert, zugleich diesen aber wieder auffrisst, indem sie Arbeitslosigkeit, Raubbau und Plünderung an den globalen Ressourcen produziert. Das geht einher mit der Abwertung Human Ressources, der Abnehmer und damit nicht zuletzt der wichtigsten Quelle der Kaufkraft. Wenn am Ende nur wenige noch Gewinn machen können, wird man auch nur mehr wenig zu produzieren haben.
    Für einen funktionierenden Markt braucht es Produzenten UND (kaufkräftige) Abnehmer.
    Als Folge könnte der Entwicklung könnte bei den solcherart Benachteiligten das Vertrauen ins Medium Geld, das ihnen nicht mehr in ausreichender Menge zu Verfügung steht, stark schwinden oder gar verloren gehen. Was wiederum eine Rückkehr zum Handel Ware gegen Ware führen würde und in der Konsequenz die Vermögen der an Geld Reichen wertlos werden liesse.
    Geld kann man schliesslich weder essen, noch gibt es warm.
    Wirklich dramatisch müsste einem dieser Paradigmenwechsel nicht erscheinen, wäre da nicht die Phase des Übergangs. In dieser droht ein Verteilkampf um die zum Überleben notwendigen Mittel, der nicht nur mit Waffen, sondern im Einzelnen auch brachial mit Klauen und Zähnen ausgetragen würde. Jeder gegen jeden.

    Ein Weg, dieses drohende Chaos abzuwenden, ist die Aufklärung der breiten Massen über die Konsequenzen der heute geltenden Regeln des Wirtschaftens. Zugleich wird es wichtig sein, den Menschen eine Perspektive zu geben, wie sie mit deutlich weniger Stress im Miteinander nicht nur das Lebensnotwendigste für sich produzieren können, sondern auch friedlicher in ihren Gemeinschaften zusammen leben. Ein sehr wichtiger Mosaikstein ist das in den Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Art. 23 definierte Recht auf Arbeit.

    Arbeit, sprich: in der Gemeinschaft eine Aufgabe zu haben, die Anerkennung schafft, ist der Zugang zur Gesellschaft. Sie verschafft dem Individuum die Würde, die es für die Entwicklung seines Selbstwertgefühls braucht. Wem dies verweigert wird, wird seine Existenzberechtigung auf anderen Wegen suchen, zum Beispiel in fundamentalen, andere ausgrenzenden Ideologien oder in einer Art verquerem Robin Hood-Kampf im Raum der Kriminalität.

    Um dem Hamsterrad zu entkommen, gibt es eigentlich nur den Weg, die Oekonomie zu revolutionieren, indem man die Macht der Grossen mit der Macht des Einkaufszettels bricht. Wer mit seinem Nachbarn auskommen will, muss diesen an seinem Leben teilhaben lassen. Und wer es gut mit diesem und sich selbst meint, lebt im persönlichen und wirtschaftlichem Austausch. Wettbewerb ist dabei nicht ausgeschlossen. Doch mit dem Vorteil, dass man alenfalls auch weiss, wen man loben und bei wem man sich im Falle von nicht zufriedenstellender Qualität beschweren muss.
    Kurzum: Das Biotop gedeiht am besten in der Mikroökonomie.

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